E-Scooter vom Kreistag Recklinghausen abgehängt

Heute wurde im Kreistag Recklinghausen – neben der üblichen Pöstchenschieberei – auch über das Transportverbot der E-Scooter debattiert. Nachdem ein Gutachten des VDV im Oktober 2014 sich zum Gefahrenpotenzial von E-Scootern kritisch geäußert hatte, verhängte die Vestische ein Transportverbot. Wir hatten dieses Vorgehen bereits in der Sitzung des Verkehrsausschusses kritisiert (WAZ berichtete) und eine Aufhebung des Beförderungsstopps beantragt.

Kreishaus1Die anderen Fraktionen zeigten sich weiter uneinsichtig und bügelten den erneuten Antrag der Gruppe Piraten ein weiteres Mal ab. Dabei verhöhnte Herr Schild (SPD) als Highlight der Scheindebatte das Begehren der Piraten als „verantwortungslosen Showantrag“. Der konstruktivste Beitrag der SPD (abgesehen von den ständigen Einschüchterungsversuchen gegenüber unserer Gruppe durch Zweifel an unserem Antragsrecht) bestand noch im Ansinnen von Herrn Goerke, den Schwarzen Peter an die Krankenkassen(!) weiterreichen zu wollen.

Wir halten es nach wie vor für unverantwortlich, die Betroffenen einfach im Regen stehen zu lassen. Nicht nur, dass sie ohne Vorwarnung vor vollendete Tatsachen gestellt werden – aber auch das Gutachten lässt viele Fragen offen. Diese Kritik wurde auch von vielen Verbänden (SoVD NRW, AK Barrierefreies Köln, VdK) und insbesondere auch vom NRW-Behindertenbeauftragten Norbert Killewald und vom Landesbehindertenbeirat NRW geäußert.

20150223_090149_2Nicht umsonst hat das Land nun ein umfassenderes Gutachten in Auftrag gegeben. Für die Zwischenzeit muss eine Übergangslösung her. Eine Option wäre, die vorhandenen Transportkapazitäten des Kreises für Behinderte auch für E-Scooter zur Verfügung zu stellen. Immerhin gibt das Land für die Mobilität von Behinderten 120 Mllionen Euro aus. Davon erhält auch der Kreis Recklinghausen einen Millionenbetrag. Den Betroffenen keine Alternative anzubieten ist eine neue Krönung sozialdemokratischer Sozialpolitik.

Gerne hätten wir Euch zur Dokumentation den Antrag der SPD verlinkt, aber leider enthält das sogenannte „Bürgerinformationssystem“ des Kreises auch eine Woche nach Antragstellung weder den Tagesordnungspunkt für die Kreistagssitzung, noch den SPD-Antrag selbst. Gelebte, bürgernahe Transparenz ist was anderes.

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Neue Rettungsschule im Kreis Recklinghausen

oder: was Marktanalysen im Kreistag Recklinghausen mit Gedichten gemein haben

Wenn's ernst wird, müssen sie es drauf haben: Notfallsanitäter

Wenn’s ernst wird, müssen sie es drauf haben: Notfallsanitäter

Im Ausschuss für Wirtschafts- und Strukturpolitik des Kreises Recklinghausen stand bei der letzten Sitzung die Gründung einer neuen Rettungsschule in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) auf der Tagesordnung. Noch im April vor der Kommunalwahl, also bereits in der letzten Legislaturperiode, hatte der Kreistag Recklinghausen beschlossen, die Schule gemeinsam mit dem DRK aufzubauen und zu betreiben. Im Rahmen des kommunalaufsichtlichen Anzeigeverfahrens hatte die Bezirksregierung Münster allerdings zusätzlich eine Marktanalyse gefordert. Diese wurde uns jetzt vorgelegt. Leider weist sie keine Merkmale einer Analyse auf, sondern liest sich wie ein Gedicht ohne Reime.

Dabei war mir die Idee vor meiner Recherche und Nachfrage bei den Fachleuten (ein dickes Danke an die Mitglieder des AK Gesundheit NRW) durchaus sehr sympathisch. Eine Einrichtung mit neuen Arbeitsplätzen, ein wichtiger Beruf mit hoher Verantwortung – ein potenziell großes Projekt für den Kreis. Was möchte man mehr? Wenn die zehn Städte des Kreises und die am Rettungsdienst beteiligten Organisationen sich zur Deckung einer Mindestanzahl von Schülern auf die gemeinsame Nutzung dieser Schule einigen könnten, wäre das Projekt Rettungsschule doch eine tolle Idee. Bisher bilden die zehn Städte und die Hilfsorganisationen an unterschiedlichen Schulen aus.

Die Sache hat bei näherer Betrachtung allerdings leider gleich mehrere gewaltige Haken.

Neues Berufsbild

Die bisherige Ausbildung zum Rettungsassistenten (750 Stunden Theorie, etwa 250 Stunden im Krankenhaus und 1.600 Stunden Praxis, insgesamt 2.600 Stunden) läuft in diesem Jahr aus. Stattdessen kommt das neue Berufsbild des Notfallsanitäters, mit einer wesentlich tieferen und intensiveren Ausbildung, die 1.950 Stunden Theorie, 750 Stunden Krankenhaus-Praxis und noch einmal etwa 1.800 Stunden Praxis im Rettungsdienst umfasst (gesamt: 4.500 Stunden). Die Anforderungen für diese Berufsausbildung sind mit der früheren nicht mehr vergleichbar – schon eher mit einer Ausbildung in Krankenpflege.RTW Feuerwehr Waltrop

Für die bisherigen Rettungsassistenten gibt es eine Übergangsregelung: Sie erhalten die Möglichkeit, durch Ergänzungsprüfungen und Lehrgänge bis zum Jahr 2020 den Titel Notfallsanitäter zu erwerben. Damit können die Feuerwehren ihren großen Bestand an bereits ausgebildeten Rettungsassistenten recht problemlos in das neue Berufsbild überführen.

Grundsätzlich aber stellt die neue dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter den gesamten Rettungsdienst in Frage, der bisher durch Beamte der Feuerwehr geleistet wird. Anders als bisher steht dieses Personal ja künftig während der Ausbildung mindestens 2800 Dienst-Stunden lang nicht für den Dienst der Feuerwehr zur Verfügung. Beim Rettungsassistenten mussten die Beamten zur Ausbildung in Schule und Krankenhaus jeweils nur für rund 950 Stunden abgezogen werden. Der Rest der Ausbildung erfolgte in der Praxis des Rettungsdienstes.

Der Bedarf an Neuausbildung durch die Berufsfeuerwehren im Kreis Recklinghausen ist also eng an die Frage geknüpft, ob der Rettungsdienst im bisherigen Umfang künftig überhaupt noch durch Beamte der Feuerwehr geleistet werden kann oder ob es nicht vielmehr neue Modelle braucht wie etwa Angestellte im Rettungsdienst, Ausschreibung und dergleichen. Das ist das eine.

Dazu kommt: Auch der externe Bedarf an Schulplätzen ist kaum kalkulierbar, da die Rettungsdienstschulen immer weit über Bedarf ausgebildet haben. Die Ausbildung erfolgte bisher in Form von Selbstzahlern, und neben Feuerwehrbeamten wurde sie von vielen Ehrenamtlichen, ausgeschiedenen Zivildienstleistenden oder Bundeswehrsoldaten und nicht zuletzt von Studenten wahrgenommen, die auf einen Medizin-Studienplatz warten und deswegen keine folgende Festanstellung anstrebten. Der Kreis hat sich bei der Frage, wie viele Ausbildungsplätze an Rettungsschulen er bereit stellt, bisher noch nie an seinem eigenen tatsächlichen Bedarf an Rettungssanitätern orientiert. Und die Selbstzahler haben zugleich einen großen Teil des Finanzbedarfs der bisherigen Schulen gedeckt.

Konkurrenz

Schaut man sich auch nur bei unseren direkten Nachbarstädten einmal um, stellt man fest, dass es dort schon viele städtische und private Rettungsdienstschulen gibt:

  • Bochum: Feuerwehr
  • Essen: Feuerwehr und drei Privatschulen
  • Gelsenkirchen: Feuerwehr und eine Privatschule
  • Dortmund: Feuerwehr und drei Privatschulen
  • Mülheim: Feuerwehr und eine Privatschule
  • Borken/Bocholt: eine öffentliche Schule
  • Münster: Feuerwehr und drei Privatschulen
  • Herne: Feuerwehr
  • Oberhausen: Feuerwehr
  • Ennepe Ruhrkreis: eine Privatschule

In ganz Nordrhein-Westfalen gibt es rund 40 Schulen mit der Zulassung zur Ausbildung von Rettungsassistenten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Dazu kommen Schulen, die immerhin den zwölfwöchigen Kurs „Rettungssanitäter“ anbieten und damit ebenfalls einen Teil des Markts abgreifen, der zum effizienten Betrieb einer großen Rettungsdienstschule einfach notwendig ist.

Da stellt sich die Frage, ob Kooperationen mit den Nachbarstädten nicht sinnvoller wären – wenigstens bis der Markt sich im Anschluss an die neue Ausbildung wieder geordnet hat.

Problem Landesregierung

Die rot-grüne Landesregierung hat es bislang versäumt, die nötige gesetzliche Grundlage zur Einführung des Berufsbildes Notfallsanitäter zu schaffen. Überfällig sind die Novellierung des Rettungsdienstgesetzes NRW, die zweite Durchführungsverordnung zur Ausbildung von Notfallsanitätern und eine Kostenvereinbarung mit den Krankenkassen. Damit sind entscheidende Voraussetzungen der geforderten Marktanalyse in NRW für die zukünftige Ausbildung überhaupt noch nicht gegeben.

Dazu kommt, dass NRW seinen Rettungssanitätern als einziges Bundesland eine Extrawurst brät: Düsseldorf möchte den bisherigen Rettungsassistenten über das Jahr 2020 hinaus als Transportführer (Chef) für Rettungswagen weiter mit im Gesetz aufführen – eigens, damit selbst Rettungsassistenten ohne Übergangsprüfung zum Notfallsanitäter über das Jahr 2020 hinaus voll im Einsatz bleiben können. Das würde aber natürlich auch den Bedarf an Neuausbildung enorm beeinflussen.

Eine Marktanalyse zu diesem Zeitpunkt ohne Kenntnis der rechtlichen Grundlagen erscheint mir daher schwierig. Gelinde gesagt.

Alternativen zum Roten Kreuz

Es spricht aus meiner Sicht nichts gegen die geplante Kooperation mit dem DRK, wenngleich man durchaus auch das Interesse anderer Hilfsorganisationen ausloten könnte, sich an einer solchen Schule zu beteiligen.

Noch wichtiger ist jedoch die Frage, ob der Kreis sich im Falle einer Neugründung nicht besser eine Krankenpflegeschule im Vest als Partner suchen sollte. Eine solche Kooperation drängt sich geradezu auf. Die neue Ausbildung zum Notfallsanitäter ist in weiten Bereichen nämlich sehr nah an der Krankenpflege und auch die strukturellen Bedingungen sind ähnlich.

In einer reinen Rettungsdienstschule würden Rettungsassistenten mit Aufbauprüfung (also maximal 1.200 Stunden theoretischer Input, bei Alt-Assistenten sogar nur 950 Stunden) neues Personal qualifizieren, das einen Anspruch auf 1.950 Stunden Ausbildung hat. Also auf eine viel tiefere Ausbildung, als ihre Ausbilder selbst vorweisen können. Die Lehrkräfte sollen Wissen vermitteln, dass ihnen selbst nie beigebracht wurde.

Demgegenüber könnte man bei einer Kooperation mit einer Krankenpflegeschule Lehrkräfte aus der Krankenpflege einsetzen. Die haben 2.500 Stunden Theorie hinter sich und eignen sich hervorragend, die Teilbereiche abzudecken, die für den Rettungsdienst jetzt neu hinzu treten. Qualitativ wäre das ein klarer Gewinn für die Auszubildenden, und damit für den Rettungsdienst.

Zudem benötigen die Rettungsschulen zukünftig ohnedies feste Kooperationskliniken. Anders als die bisherigen Rettungsassistenten, die „nur“ als Praktikanten unterwegs waren, müssen die künftigen Notfallsanitäter von den Kliniken wie Auszubildende geführt und angeleitet werden. Dies bedeutet einen Mehraufwand für die Kliniken. Der wird zwar bezahlt, aber damit allein ist es ja nicht getan. Auch hier ein Vorteil für die Krankenpflegeschulen, denn die sind ohnedies immer an Kliniken gebunden und die Strukturen sind bereits vorhanden.

FAZIT

So leid es mir tut, aber beim derzeitigen Sachstand macht weder ein „Gutachten“ Sinn, noch eine neue Schule. Es müssen erst die Rahmenbedingungen geklärt sein.

Um so größer mein Erstaunen, als in der Ausschuss-Sitzung tatsächlich eine „Marktanalyse“ vorgelegt wurde. Das schön formulierte Papier hat allerdings rein gar nichts mit dem zu tun, was ich mir gemeinhin unter diesem Titel vorstelle. Es werden dort keinerlei Daten oder Zahlen aufgeführt, es gibt keine Bedarfsermittlung der tatsächlichen Schülerzahlen, es gibt kaum Quellen und keine Belege. Alles, was da drin steht, ist eine blumige Schilderung des segensreichen Vorhabens an sich.

Zu den finanziellen Aspekten heißt es dort allen Ernstes: „…der Ressourceneinsatz sei planbar und somit eine geordnete Budgetplanung möglich.“ Das klingt ja gut. Aber warum enthält die sogenannte „Analyse“ dann nicht ein einziges konkretes Wort einer solchen Planung? Sie verdient diesen Namen aus meiner Sicht damit nicht.

Einem Vorschlag mit solchen Unwägbarkeiten, bei dem derart viele Fragen offen bleiben, konnte ich nicht zustimmen. Die Verwaltung hat auf meine Einwände lediglich angeboten, die Kritikpunkte in einem „bilateralen Dialog“ zu klären. Auch der Einwurf anderer Ausschussmitglieder, den Tagesordnungspunkt in der Abstimmung zu vertagen und die Fragen im Ausschuss für alle öffentlich zu klären, blieb erfolglos: Gegen die Stimmen von Piraten, Linken und FDP hat der Ausschuss der Vorlage zugestimmt. Endgültig abgestimmt wird der Antrag am Montag, 23.02. in der nächsten Kreistagsitzung.

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Schikanen gehören in die Formel 1 – nicht in die Busspur

Seit Anfang des Jahres hat die Vestische den Transport von E-Scootern in ihren Fahrzeugen ausgeschlossen. Grund war ein Gutachten des Verbands deutscher Verkehrsverbünde (VDV), welches auf Basis theoretischer Überlegungen Sicherheitsbedenken gegen die Beförderung von E-Mobilen angemerkt hatte. Zudem hat die Vestische analog zu den anderen Verkehrsunternehmen im VRR die Fahrpreise angehoben. Zur Attraktivität des ÖPNV im Vest trägt nichts davon  bei.

E-Scooter; Behindert, Behindertenbeirat; Resolution;

Gehbehinderte haben bei der Vestischen das Nachsehen – E-Scooter werden bis auf weiteres nicht befördert CC BY 3.0 Phasmatisnox

Die Piraten im Kreistag Recklinghausen hatten im Verkehrsausschuss des Kreistages beantragt, das Beförderungsverbot für E-Scooter umgehend aufzuheben. Leider ohne Erfolg: Obwohl auch der Landesbehindertenbeirat in seiner Resolution genau dies fordert, obwohl das Landesverkehrsministerium zur Klärung des Transportrisikos ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben hat, obwohl das Bundesland Bremen das Beförderungsverbot längst wieder, wenn auch vorläufig, kassierte – die Altparteien haben unserem Antrag nicht zugestimmt und lassen Gehbehinderte mit ihren Elektromobilen lieber „im Regen stehen“.

Inklusion geht anders. Moderner ÖPNV auch. Dabei hat sich Deutschland als Unterzeichner der UN-Behindertenrechtskonvention selbst dazu verpflichtet, die persönliche Mobilität von Menschen mit Beeinträchtigungen mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen. Im Rahmen der Daseinsvorsorge haben die Kommunen die Verpflichtung, die Mobilität der Menschen zu gewährleisten.

Wenn die Fahrzeuge der Vestischen nicht in der Lage sind, einem erkennbaren Trend zum Einsatz bestimmter Hilfsmittel zu entsprechen, dann ist das ein Grund für Investitionen und nicht für Verbote. Der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung nimmt zu. Dieser Trend wird sich so bald nicht umkehren – im Gegenteil. Den damit einher gehenden Anforderungen muss sich der ÖPNV so oder so stellen. In den meisten Bussen ist ohnehin bereits zu wenig Platz für Rollatoren, Kinderwagen und E-Scooter.

Es keimt der Verdacht, dass den Entscheidern in Politik und Verkehrsbetrieben der nötige Weitblick für ihre Entscheidungen fehlt. Während die Vestische öffentlich gegen den Mindestlohn wettert und aufgrund der Fahrpreiserhöhungen den Verlust von 500.000 Fahrgästen in den Raum stellt; während bei den Ruhrbaronen darüber geätzt wird, es würden „nur die armen Schweine Bus fahren“ und während in der Lokalpresse Mitleid mit den besonders betroffenen Sozialleistungsempfängern gezeigt wird, stellen sich regelmäßige Nutzer von Bus und Bahn ganz andere Fragen.

Zum Beispiel, warum Fahrstühle und andere Hilfsmittel für Behinderte an Bahnsteigen fehlen oder chronisch außer Funktion sind. Warum es den Verkehrsbetrieben völlig egal ist, dass ihre Fahrzeuge zu Stoßzeiten vollgestopft sind wie Sardinendosen. Oder warum man mit dem Fahrrad mindestens genauso schnell von Herten nach Altenessen kommt wie mit Bus&Straßenbahn.

Für den Hartz4-Empfänger dagegen, der schon mehr für ein Sozialticket zahlen müsste als im gesamten ALG2-Satz für Mobilität überhaupt vorgesehen ist, stellen sich selbst diese Fragen nicht. Dessen Probleme beginnen schon viel früher. Aber sie werden nur bedingt durch einen Fahrpreisanstieg ausgelöst, denn auch alles andere wird teurer. Nur die Anpassung des Hartz4-Regelsatzes hinkt der Preissteigerung hinterher.

Preiserhöhungen gehen schon seit Jahren vor allem auf Kosten der Vielfahrer

Wer es sich leisten kann, sitzt dann zusammen mit den anderen aus seiner Einkommens-Klasse gemeinsam jeden Morgen im Stau. Auf der A1, der A2, der A3, auf der A43, der A40, der A52 und und und… Und natürlich auch auf den diversen Bundesstraßen, die durch die größeren Städte im Ruhrgebiet führen. Die meisten Autofahrer sitzen zudem allein in ihren Fahrzeugen. Wirklich sinnvoll ist das nicht. Ressourcenschonend ist es schon gar nicht. Und wer beruflich in eine weiter entfernte Großstadt wie Köln oder Düsseldorf pendelt, ist letztlich mit dem Auto nicht einmal schneller. Dem privaten Platzgewinn steht spätestens nach der Parkplatzsuche kein echter Zeitgewinn mehr gegenüber und finanziell ist die häufige Fahrt mit dem eigenen Pkw ohnehin ein Verlustgeschäft.

Machen wir uns also nichts vor: Die Preiserhöhung wird die Vestische bei allem Gejammer nicht die beklagten 500.000 Fahrgäste kosten. Die meisten Berufspendler, Schüler und Kfz-losen haben nämlich keine reelle Alternative zum ÖPNV. Sonst würden sie sich nicht Tag für Tag den teilweise höchst unangenehmen Weg mit Bus und Bahn antun. Und sie würden auch nicht Jahr für Jahr klaglos die gängigen Preiserhöhungen von 3,4 bis 3,9 Prozent mitmachen, die seit Jahren immer mit den gleichen Argumenten verkündet werden: Energiekosten und Lohnkosten seien gestiegen.

Ja, richtig gelesen: Wer selten oder gar nicht mit der Vestischen unterwegs ist, muss nur ein wenig googeln um herauszufinden, dass die Fahrpreise seit Jahren kontinuierlich erhöht werden und das die letzte Preisrunde keineswegs die Teuerste war. Die Busse und Bahnen sind seither nicht leerer geworden – im Gegenteil. Vielen Berufspendlern bleibt im Billiglohnland Deutschland heute überhaupt keine andere Wahl mehr. Das Angebot wurde aber durch Einstellung bestimmter Linien (vor allem in Vororte, auf Nebenstrecken, Nachts und an Feiertagen), durch marode Fahrzeuge, geringere Fahrfrequenzen und dergleichen stetig verschlechtert. Das Ruhrgebiet ist in puncto Größe und Einwohnerzahl ein Ballungsraum von beachtlicher Größe. Diese Metropolregion hat aber einen vergleichsweise unterentwickelten ÖPNV. In vielen anderen Großstädten ist man mit öffentlichen Verkehrsmitteln schneller und bequemer unterwegs. Wenn das so bleibt, wird das nie was mit dem Strukturwandel.

Es gibt Alternativen – sie müssten nur umgesetzt werden

Die Piraten fordern schon lange den fahrscheinlosen ÖPNV, der über ein Umlageverfahren finanziert wird. Nein – wir meinen nicht kostenlos, auch wenn es so immer wieder in der Presse geschrieben wird. Wir sind der Meinung, dass Mobilität ein öffentliches Gut ist, dass allen Menschen zur Verfügung stehen muss. Und wenn jeder dafür eine kleine Abgabe zahlt (eine Berechnung für Bremen beispielsweise ging von einem Bedarf von etwa 16 Euro pro Bürger aus), dann nehmen auch mehr Menschen den ÖPNV in Anspruch. Bei der Krankenversicherung läuft es ja auch nicht anders. Für sozial Bedürftige gäbe es dann angepasste Beiträge. Die Verkehrsbetriebe könnten ihre Einnahmen viel sicherer kalkulieren und damit planen. Zudem werden die Mittel frei, die bislang für Kontrollen und die technische Infrastruktur zum Ticketverkauf aufgewendet werden.

Der Kreis Recklinghausen hat einen hohen Anteil an Berufs-Auspendlern. Städte wie Essen, Dortmund, Münster, Düsseldorf ziehen Tag für Tag eine große Zahl von Berufstätigen aus dem Vest an. Gleichzeitig erreicht man diese Städte vielfach schneller und besser als Ziele innerhalb des Kreises. Beispiel NewPark, das Lieblingsprojekt von Landrat Süberkrüb: von Herten-Nord fährt man dorthin mit dem Bus über eine Stunde, von Dorsten-Wulfen sogar bis zu eineinhalb Stunden. Mit dem Auto dauern beide Strecken nur 35 Minuten.

Gute Verkehrsverbindungen sind auch ein Standortfaktor. Genau dort sollte man ansetzen.